Montag, 20. Juli 2009

Filmfest Report #6 - Das weiße Band

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Filmfest Report #6 - "Das weiße Band - eine deutsche Kindergeschichte"

So, ein finale Review vom Filmfest gibt es noch von mir, und zwar zu Michael Hanekes neuem Film "Das weiße Band", der dieses Jahr ja auch die Goldene Palme in Cannes gewann.

Michael Haneke wurde auf dem Filmfest München mit dem CineMerit Award geehrt, weshalb auch zahlreiche seiner neueren Filme gezeigt wurden: "Caché", "Code: Unbekannt", "Die Klavierspielerin", "Wolfzeit" und "Funny Games" (bei letzterem aber leider nur das von Haneke selbst erstellte Shot-by-Shot US-Remake). Haneke selber stand wohl auch an diversen Terminen für Fragen und Diskussionen zur Verfügung, doch leider konnte ich aus Zeitgründen nicht daran teilhaben. Schade, denn er ist für mich einer der interessanten deutschsprachigen Filmemacher bzw. Autorenfilmer und ich kann fast jedem seiner Filme etwas abgewinnen und hätte schon gerne die eine oder andere Frage an ihn gestellt. Seinen neuen Film durfte ich mir dann aber doch nicht entgehen lassen!

"Das weiße Band" klingt nämlich in vielerlei Hinsicht schon mal interessant: Erstmals seit 1996 hat der Österreicher Haneke wieder auf Deutsch (und in Deutschland!) gedreht und abgesehen von der Kafka-Verfilmung "Das Schloss" ist dies der einzige Film von ihm, der nicht in der Gegenwart spielt, sondern in den letzten Tagen vor dem Ersten Weltkrieg. Es handelt sich aber um keine Literaturverfilmung, sondern basiert auf einem von Haneke selbst wohl schon vor einiger Zeit geschriebenen Drehbuch. Auch die visuelle Umsetzung als Schwarz/Weiß-Film ist für Haneke eher untypisch, doch dazu später mehr.

Zunächst einmal zum Inhalt des Films (leichte Spoiler):

"Das weiße Band" spielt im Jahr 1913, kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs, in einem kleinen prostestantischen Dorf im Norden Deutschlands. Eine abgeschiedene Welt, in der die mächtigen Männer das Sagen haben: Der Pastor (Burghart Klaussner), der Baron (Ulrich Tukur), der Dorflehrer (Christian Friedel), der Dorfarzt (Rainer Bock) und der Gutsverwalter (Josef Bierbichler) herrschen mit strenger Hand über die Frauen, Kinder und Bauern des Dorfes. Alles hat seine strenge preußische Ordnung: Kinder sagen noch "Herr Vater", geben Handküsse und werden mit der Reitgerte bestraft. Gehorsamkeit den Autoritäten gegenüber ist oberstes Gebot.

Doch schon früh bricht (typisch für fast alle Filme Hanekes) die Gewalt in dieses geordnete ländliche Idyll ein: Bereits zu Beginn bringt ein dünnes Drahtseil den Herrn Doktor mit seinem Pferd zu Fall und er wird schwer verletzt, doch ein Schuldiger ist nicht zu finden. Und es bleibt nicht das einzige merkwürdige Ereignis der folgenden Monate: Eine Scheune brennt nieder, eine Frau stirbt bei einem Unfall im Sägewerk und ein behinderter Junge wird gefesselt und brutal mißhandelt aufgefunden. Die Serie von seltsamen Vorkommnissen erschüttert die Ruhe im Dorf. Der Herr Baron ruft zwar zu Wachsamkeit und Denunziation auf, doch die Hintergründe der Unfälle, die immer mehr den Charakter ritueller Bestrafungen annehmen, bleiben auch mit Hilfe der Polizei unklar. Wer steckt hinter diesen Taten?

Schnell wird klar, dass im Dorf jeder etwas zu verbergen hat und schon deshalb keine intensiven Nachforschungen nach den Tätern stattfinden sollen.

Der sensible Dorflehrer (der gleichzeitig auch als Off-Erzähler das ganze Geschehen retrospektiv kommentiert) beginnt, seine eigenen Ermittlungen anzustellen und bemerkt dabei, dass hinter der Fassade des geordneten Dorflebens so einiges im Argen liegt:

Der ach so freundliche Arzt demütigt und quält seine Haushälterin, ebenso wie der Baron seine Bauern lediglich zu Arbeitstieren degradiert. Der fromme Pastor hingegen redet den Kindern für geringe Vergehen ein schlechtes Gewissen ein und lässt sie - als Erinnerung an die reine Tugend, von deren Pfad sie abgewichen sind - ein (titelgebendes) "weißes Band" tragen. Und es sind vor allem die Kinder des Dorfes die Leidtragenden in diesem Film: von ihren Vätern oft grundlos verprügelt, die Jungen ans Bett gefesselt, um sie vom Onanieren abzuhalten, die Töchter sexuell mißbraucht, legen auch sie bald merkwürdige Verhaltensweisen an den Tag.

Als der Lehrer schließlich einen Verdacht über die Identität der Täter und ihre Gründe äußert, wird ihm vom Pfarrer eindringlich geraten, sich aus der Angelegenheit herauszuhalten.

Trotz dieser Beschreibung darf man bei Michael Haneke einen Mysterythriller ebensowenig erwarten wie eine historische Tatort-Variante. Die Suche nach dem Täter steht bei diesem Film weit weniger im Vordergrund als die Darstellung der verborgenen und doch omnipräsenten Gewalt und Unterdrückung in den sozialen Strukturen. Interessant ist, dass am Ende des Films zwar wieder diskussionwürdige Fragen aufgeworfen werden, die Zuschauer aber (für Haneke eher untypisch) die wahren Täter und die Erklärung für den Ursprung der Gewalt schon stark und plausibel suggeriert bekommen.

Das Hereinbrechen der Gewalt und die (meist unbeantwortete) Frage nach dessen Ursachen sind ja charakteristisch für den radikalen Moralisten Haneke - hier ist das ganze aber noch mal komprimiert auf den engen Rahmen der kleinen Dorfgemeinde. Die Charaktere stellen klassische Archetypen dar, die Figuren sind reduziert auf das Wesentliche, die Handlung will nicht eine in sich abgeschlossene Geschichte erzählen, die Inszenierung ist so karg und streng wie die Landschaft, in der sie spielt.

Und so wirkt der Film nicht wirklich als geschichtliche Dokumentation oder gar Historienfilm, sondern vielmehr als Parabel auf autoritäre Systeme, die daran scheitern ihre Ideale mit Gewalt und Strafe durchzusetzen und stattdessen Stumpfsinn und Fachismus fördern. So heißt es denn auch zu Beginn des Films: "Die Vorgänge in einem kleinen Dorf sollen Licht auf manche Vorgänge im Land werfen".

Auch Haneke selbst hat in Interviews und auf Pressekonferenzen mehrfach wiederholt, wie wichtig es ihm sei, dass sein Film beispielhaft ist und sich nicht nur auf Deutschland beziehe, da für ihn "alle Formen von Terrorismus" denselben Ursprung hätten, die "Perversion von Idealen, die man in soziale Regeln übersetzt".

Mehrfach kamen für mich da Erinnerungen an die bisweilen ebenfalls sehr stilisierten psychologischen Filme Ingmar Bergmans (der übrigens Sohn eines protestantischen Pfarrers war) auf, der existentielle Fragen nach Religion, Obrigkeitshörigkeit, Eigenverantwortung, Schuld und Vergebung ja auch in unzähligen seiner Werke thematisiert hat.

Visuell ist das Ganze in kontrastreichen Schwarz-Weiß-Bildern umgesetzt, die sehr reduziert und karg - und auf einige sicherlich altmodisch - wirken. In vielen Szenen haben mich diese Bilder von Hanekes Stamm-Kameramann Christian Berger oft auch wieder an die Filme von Ingmar Bergman bzw. dessen Kameramann, den genialen Sven Nykvist erinnert (ohne letztlich dessen faszinierndes Talent für Ausleuchtung und Kontrastarbeit zu erreichen). Gedreht wurde übrigens doch auf Farbfilm, der letztlich dann digital in Schwarz-Weiß (mit ganz leichtem Sepiastich) gewandelt und im Kontrast angepasst wurde. Letztlich kommt meines Erachtens die sehr strenge und reduzierte visuelle Umsetzung der Thematik des Films angemessen zugute.

Auch die Schauspieler sind allesamt klasse besetzt und spielen überzeugend, allen voran Ulrich Tukur, Joseph Bierbichler und Susanne Lothar. Doch es sind vor allem die Kinderdarsteller, die diesen Film zu einem Erlebnis machen. Ich habe schon lange nicht mehr bei Kinderschauspielern so eine überzeugende Darstellung von Unterdrückung und Bedrohung, von Hass und Unverständis wie in diesem Film erlebt.

Trotz alledem kann "Das weiße Band" leider nicht über die volle Länge von zweieinhalb Stunden überzeugen. Bisweilen fällt die Holzschnitthaftigkeit der Charaktere schon deutlich auf und man vermutet aufgrund der überstilisierten Gespräche und Handlungen eine größere Wahrheit oder Erkenntnis hinter der Geschichte, als letztlich präsentiert wird. In seinen besten Momenten schafft es der Film, den Zuschauer so zu hypnotisieren, dass er mit der unangenehmen Faszination eines Voyeurs die weiteren Geschehnisse verfolgt. In seinen schlechtesten Momenten hingegen erinnert er (mich zumindest) an einen langatmigen, trockenen Fernsehfilm. Aber auch dies trifft auf den einen oder anderen charakterbezogenen Bergman-Film dazu. Ursprünglich sollte "Das weiße Band" übrigens auch als Mehrteiler für das Fernsehen produziert werden - wobei ich mir nicht sicher bin, ob dies die Langatmigkeit und die Erwartungen an einen runden Abschluß nicht noch erhöht hätte.

Neben Bergman hat mich der Film thematisch und visuell auch an den in einigen Teilen ähnlichen, aber letztlich doch grundverschiedenen Film "Die Werckmeister Harmonien" von Béla Tarr erinnert, wobei mich Tarrs Film trotz seines noch langsameren Tempos auf Anhieb faszinieren konnte, während ich mir hier noch unschlüssig bin.

Letztlich ist für mich nach dem ersten Anschauen nämlich schwer zu sagen, ob es jetzt wirklich ein Meisterwerk war oder "nur" eine sehr gut gespielte und gefilmte moralische Sozialstudie. Vielleicht wirkt er beim zweiten Anschauen wieder anders (so ging es mir bei einigen Haneke-Filmen), vielleicht braucht man auch die richtige Stimmung, um komplett in diese Welt abtauchen zu können. Ich werde ihn mir auf jeden Fall noch einmal anschauen, um mir ein finales Urteil zu bilden. Für den ersten Eindruck hat mich der Film zwar stellenweise stark berührt, läßt mich aber am Ende etwas unbeeindruckt zurück.

Sicherlich kein Film für einen unterhaltsamen Abend, und Sitzfleisch bzw. Geduld sollte man auch mitbringen. Aber wer mit den bisherigen Filmen Hanekes etwas anfangen konnte, sollte auch hier unbedingt einen Blick riskieren. Oder wie Juliette Binoche so schön sagte: "Für mich sind Hanekes Filme notwendige Filme. Von Zeit zu Zeit sollte man sie sich ansehen. Aber sicher nicht immer."

Der deutsche Kinostart ist übrigens anvisiert für den 29.11.2009, allerdings ist inzwischen auf der X-Filme-Seite "im Kino ab September 2009" zu lesen, evtl. kann man ihn in Kürze also schon sehen. Einen Trailer konnte ich bis jetzt noch nicht finden, aber diverse kurze Filmausschnitte, die aus dem Kontext gerissen allerdings höchstens einen Einblick in Optik und Schauspieler geben, wie z.B. dieser Ausschnitt.

Tobias Fleischer

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