Montag, 10. August 2009

Ai no Mukidashi / Love Exposure

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So, da ist er nun endlich, der neue Film von Sion Sono: "Ai no Mukidashi" alias "Love Exposure".

Ich hab ja schon lange auf eine Veröffentlichung dieses Films hierzulande gewartet und nicht mehr damit gerechnet, dass der noch mal ins Kino kommt. Aber nachdem er Anfang des Jahres auf der Berlinale lief und kurz darauf verkündet wurde, dass Rapid Eye Movies den dt. Vertrieb übernommen hat, ist er jetzt doch noch kurzzeitig in einigen deutschen Städten zu sehen. Ich durfte ihn letzte Woche schon mal als Preview im (fast leeren) Werkstattkino in München erleben.

Zum japanischen Multitalent Sion Sono, dem Dichter, Schriftsteller und Filmemacher muss ich glaub ich nicht mehr viel sagen - bekannt ist der Mann hierzulande ja vor allem durch so tolle Filme wie Suicide Circle, Noriko's Dinner Table und Strange Circus (den etwas unausgegorenen J-Horror Exte: Hair Extensions ignorier ich mal großzügig).

Sein neuester Film ist ein genreübergreifendes Mammutwerk von fast genau 4 Stunden Länge. Allein den Inhalt dieses bizarren Films auch nur ansatzweise in Worte zu fassen ist wahnsinnig schwierig:
Yu (Takahiro Nishijima) wächst als Einzelkind in einer christlichen (japanischen) Familie auf. Nach dem plötzlichen Tod seiner Mutter entschließt sich sein Vater (Atsuro Watabe), Priester zu werden, woraufhin Yu ihm täglich alle seine Sünden beichten muss. Nur ist Yus Leben leider viel zu brav, um in Ungnade zu fallen. Um trotzdem etwas Aufmerksamkeit von seinem (nach einer mißglückten Affäre) äußerst stoischen Vater zu erhalten, beginnt er absichtlich Sünden zu begehen, die er dann beichten kann. Doch Ameisen zu zerquetschen und kleinen Kindern den Ball wegzuschießen reicht natürlich nicht, und so geht Yu zum Meister der Upskirt-Fotografie in die Lehre.
Wie in einem Ninja-Trainingslager übt er nun mit an Stöcken, Jojos und ferngesteuerten Autos befestigten Kameras blitzschnell "Panty Shots" von wildfremden Frauen zu schießen und übertrifft in seinen Fähigkeiten bald seinen Meister. Doch im Gegensatz zu diesem dient die Beschäftigung für Yu allein dazu, dem fanatischen Beichtzwang seines Vaters nachzukommen, denn antörnen können ihn solche Bilder nicht. Er ist auf der Suche nach seiner großen Liebe, der "Heiligen Maria", zu der seine verstorbene Mutter immer gebetet hat. Nur für diese Idealbild spart der 17-jährige sein sexuelles Verlangen auf.
Eines Tages muss Yu aufgrund einer verlorenen Wette in Frauenkleidern als Sasori (mit dem Outfit aus den Sasori-Filmen!) durch die Stadt streifen und trifft ausgerechnet dabei auf seine "Maria", die eigentlich Yoko heisst (gespielt von Hikari Mitsushima). Diese ist als gläubiges und kampferprobtes Schulmädchen gerade dabei, um Gnade für ihre Gegner zu beten, bevor sie eine ganze Horde Gangster auf offener Straße aufmischt. Yu eilt ihr natürlich pflichtbewußt zur Hilfe - und als Yokos kurzes Röckchen im Kampfgetümmelt hochfliegt und er die erste Erektion seines Lebens bekommt ist für ihn klar, dass er seine "Maria" gefunden hat. Dumm nur, dass Yoko sich zwar auch in ihn verguckt, aber ihn aufgrund seiner Kostümierung nur als Frau wahrnimmt und damit als überzeugte Lesbe den Kampf gegen alles männliche (mit Ausnahme von Gott und Kurt Cobain) antritt. Nur in seiner Frauenverkleidung kann der schüchterne Yu ihr fortan gegenübertreten und ihr seine (bzw. ihre) Liebe gestehen...

Tja, und damit ist nach knapp 60 Minuten die Exposition vorbei und der Filmtitel erscheint schon auf der Leinwand :-)

Und man mag es kaum glauben, aber es wird alles noch viel komplizierter in diesem absurden Theater.
Man könnte erzählen von blutigen Penisamputationen, Schulamokläufen, Gehirnwäschen, Pornocastings, sinstren Sektenführerinnen, Explosionen, Entführungen, Schwertkämpfen, gigantischen Erektionen, Kanarienvögeln, unsichtbaren Gewehrkugeln usw., doch erleben muss man diesen Film eigentlich selber, denn der verrückten und komplexen Story kann nicht einmal der Trailer ansatzweise gerecht werden.

Doch eines steht fest, es ist absolut erstaunlich, wie kurzweilig so ein Film von fast genau 4 Stunden sein kann! Die Zeit vergeht wie im Flug wenn eine verrückte Idee die nächste jagt und die Story immer wieder unerwartete Wendungen nimmt. Zwar läßt in der zweiten Hälfte (also nach ca. 2 Stunden :-) der Film etwas nach (bzw. wird einfach etwas ruhiger), bleibt aber immer noch interessant genug, um die Zuschauer zu fesseln.

Die Schauspieler machen ihre Sache dabei wirklich gut, v.a. Newcomer Takahiro Nishijima von der Boyband AAA überzeugt voll in der Hauptrolle als Yu und Hikari Mitsushima als Yuko sieht noch süßer aus als in den Death Note-Verfilmungen. Atsuro Watabe als Yus Vater und Priester mit mehrfach gebrochenem Herzen überzeugt ebenso wie Makiko Watanabe, die mal wieder zeigen kann, dass sie auch ambivalente Charaktere gut darstellen kann.

Bis auf einige wenige (an Miike erinnernde) heftig-blutige Gewaltspitzen bleibt der Film dabei fast gewaltfrei, und auch auf sexueller Ebene geht nichts über Anspielungen und ein paar Küsse hinaus. Selbst die Panty- und Cameltoe-Shots sind weit entfernt von expliziterem Material anderer Filme aus dem Land auf der aufgehenden Sonne. Aber darauf kommt es auch gar nicht an.
Kritisieren könnte man hingegen das etwas abrupte Ende - ich hätte mir da ein großangelegtes Finale erwartet, so hängt der Film mit seinem offenen Ende in der Luft, der runde Abschluß fehlt. Auch hätte man schon noch die eine oder andere Szene kürzen können, ich glaub ein Trimmen von 4 auf 3 Stunden wäre drin gewesen und hätte dem Film gut getan.
Ein weiterer Kritikpunkt für mich war die Optik - v.a. der Anfang wirkte aufgrund der wackligen DV-Bilder sehr wie eine Homevideo-Aufnahme bzw. eine billige TV-Soap. Kein Vergleich zu Sonos früheren Werken. Mit der Zeit gewöhnt man sich zwar daran (und das eine oder andere visuelle Schmankerl kommt schon auch noch), trotzdem hätte ich mir hier etwas mehr optische Brillianz gewünscht.

Musikalisch gibt es nicht viel zu meckern - der Soundtrack konzentriert sich auf wenige zentrale Stücke, die immer wiederholt werden, z.B. Maurice Ravels "Bolero" als Zeichen der Sünde oder Ludwig van Beethovens 7. Sinfonie als musikalisches Motiv für die "wahre Liebe".

Und diese einzige, wahre Liebe bzw. Yus Suchen, Finden, Verlieren und Wiederfinden (usw.) derselben, stellt auch das zentrale, immer wiederkehrende Thema des Films dar. Selten fiel dabei die Genre-Klassifizierung schwerer als hier: Es ist ein wilder und abwechslungsreich Genremix aus Drama und Komödie, aus Coming-of-age-Film und Exploitation, Trash und Martial Arts, aus absurdem Theater und Religionskritik, aus Liebesgeschichte und Groteske, Märchen und Nonsens-Farce. Insofern fast schon ein Wunder, dass er trotzdem seinen inhaltlichen Zusammenhalt bewahrt und nicht als bloße Aneinanderreihung unterschiedlichster Szenen endet.
Und letztlich steht hinter den Irrungen und Wirrungen eben ein emotionales Liebesdrama, dass trotz aller Absurditäten der Handlung schafft, zu überzeugen. Dazu haufenweise Zitate aus den unterschiedlichsten Bereichen, von Pop bis Porno, von japanischen Filmklassikern wie Sasori bis hin zu Takashi Miike und Takeshi Kitano.
Trotz der genannten Kritikpunkte bzgl. Laufzeit, Ende und Optik - für mich einer der besten japanischen Filme in diesem Jahr!

In Japan ist der Film bereits in einer opulent ausgestatteten 3-Disc-Edition erhältlich, leider mal wieder ohne jegliche Untertitel. Weltweite Releases sind für Anfang nächsten Jahres geplant. Wo er in Deutschland noch im Kino laufen wird, ist hier ersichtlich.

Also wer die Gelegenheit hat, diese Film zu sehen: lasst euch nicht von der langen Laufzeit abschrecken und geht unbedingt rein!

Tobias Fleischer

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